Schon auf den ersten Blick scheint der Norweger Ivan Ave ein besonderer Typ zu sein - allein deshalb, weil man norwegische Rapper, Musiker mit dem Ziel, ausgerechnet als Rapper eine professionelle Karriere anzustreben, an einer Hand abzählen kann. Bei näherer Betrachtung stellt man sodann schnell fest, dass sich hinter dem Mittdreißiger nicht nur für die Musikszene seiner Heimat, sondern auch für die HipHop-Kultur im Allgemeinen ein beherzter Außenseiter und kreativer Freigeist versteckt, der sämtliche Gesetzmäßigkeiten des Genres lustvoll ignoriert und und mutig sein ganz eigenes Ding macht, stets nur einer einzigen Maxime folgend: Es muss ihm persönlich gefallen. Entsprechend skurril, aber letztlich nur konsequent klingt sein aktuelles Album „Double Goodbyes“: Ausgerechnet jetzt, wo sich sein jahrelanger Kampf als Begründer und Innovator einer norwegischen HipHop-Szene auch kommerziell auszahlt, sagt er auch den klassischen Produktionen und stilistischen Merkmalen des HipHop gewissermaßen „Lebewohl“, um sich bei seinen aktuellen Konzerten stattdessen von einem Live-Jazztrio begleiten zu lassen. Diese außergewöhnliche Kombination kann man am 11. September im Rahmen eines exklusiven Konzertes in Berlin live begutachten.
Telemark, der Ort, in dem Ivan Ave aufwuchs, erfüllt alle Klischees einer norwegischen Kleinstadt: Eine sattgrüne Postkartenidylle irgendwo im Nirgendwo. Der perfekte Ort also, an den gestresste Großstädter fliehen, um zwei Wochen Entschleunigung, Self-Care und Digital Detox zu praktizieren. Weiter weg von Urbanität und allem, was man gemeinhin Zeitgeist nennt, kann man in Europa kaum kommen. Dass Ivan Ave sich trotz dieser Idylle schon früh in die Idee verliebt, als Rapper Karriere zu machen, verdankt er der kleinen Plattensammlung seiner Schwester, bestehend aus dem, was im HipHop und R’n’B der 90er-Jahre derart populär war, dass man sogar in Telemark davon erfuhr: Die Fugees, Janet Jackson und Raphael Saadiq, aber auch En Vogue, 2Pac und die Beastie Boys.
Diese Platten waren Ivans erster - und lange einziger - Einstieg in diese mysteriöse Welt der Popkultur. Und so schrieb er schon als kleiner Junge kleine Reime auf ein Blatt und sagte sie anschließend Stunde um Stunde laut vor sich her. „Wenn du keine Ahnung und auch keine Anleitung hast, wie man Rapskills technisch trainiert, ist das halt das Einzige, was dir einfällt“, erzählte er rückblickend in einem Interview. Kaum volljährig, verließ er die Idylle seiner Kindheit und zog zunächst nach Oslo - nur um dort den Entschluss zu fassen, dass er als angehender Rapper eine Weile in New York, der Geburtsstätte des HipHop verbringen muss - eine Art urbane Graswurzelarbeit als Therapie gegen den inneren Naturburschen. Zurück in Oslo, waren zwei Dinge evident: Sein Vorhaben, in Norwegen als Rapper Karriere zu machen, würde einige Hürden mit sich bringen. Beginnend damit, dass es in ganz Norwegen keine Strukturen, Netzwerke, Auftrittsmöglichkeiten und Plattenlabels, ja nicht mal Form von Subkultur für HipHop gibt. Was er kurzerhand selbst änderte: Mit befreundeten Grafitti-Künstlern, Filmemachern, Designern und Musikproduzenten gründete er Mutual Intentions, Norwegens erste Anlaufstelle für alle kreativen Bereiche der HipHop-Welt.
Ein Jahrzehnt lang investierte er alles in dieses Projekt und seine eigene Musik - mit wachsendem Erfolg: Mittlerweile gilt Ivan Ave in Norwegen als ein Jugendidol und Vorbild. Er hat bewiesen wie man aus einem Jugendtraum eine erfolgreiche Karriere schmiedet und dabei die künstlerischen wie geschäftlichen Aspekte völlig autonom gestaltet. Neben seinen eigenen Platten veröffentlicht Mutual Intentions auch Musik anderer Künstler und arbeitet häufig mit international renommierten HipHop-Produzenten zusammen. Für sein aktuelles Album „Double Goodbyes“ kollaborierte er nun allerdings mit einer ganz anderen Sorte Musikprofis: mit zwei Jazzmusikern, die ihn seither auch auf Konzerten begleiten und der Rapmusik damit eine völlig neue, signifikant eigene Klangfarbe und Ästhetik hinzufügen.