<p>Orm Finnendahl [*1963] • <em>Fälschung</em> für Streichquartett, Ghettoblaster, Zuspiel und Live-Elektronik [2003]</p>
<p>John Zorn [1953] • <em>The Dead Man</em>. 13 specimen for string quartet [1990]</p>
<p>John Cage [1912–1992] <em>•TwelvePieces </em>for String Quartet [1983]</p>
<p>George Crumb [1929–2022] • <em>Black Angels: 13 Images form the Dark Land</em> for electric string quartet [in tempore belli, 1970]</p>
<p><br /> Auf dem Grat zwischen Collage und Montage, die seit dem frühen 20. Jahrhundert in den visuellen Künsten zum Einsatz kommen, wandelt dieses musikalische Programm und setzt mit der Musik von Crumb und Zorn zugleich Akzente gegen den Krieg.</p>
<p>In gewisser Hinsicht ist die Technik bereits im Wort Kom-position (= Zusammensetzung) mitgedacht. Bei den Techniken der Montage und Collage verhalten sich die konstituierenden Elemente allerdings disparat und brüskieren ohne Übergänge, nebeneinander „geklebt“ (frz. coller = kleben) oder miteinander montiert. Vielschichtige musikalische und durchaus symbolisch aufgeladene Fakturen erwachsen aus einer eigentlich einfachen Vorgabe.</p>
<p>Finnendahls <em>Fälschung</em> mit Live-Elektronik verwendet zwei „Objets trouvés“, nämlich ein Sample von bulgarischer Balkanmusik und eine Einspielung eines Chopin-Nocturnes von Artur Rubinstein. Diese Samples erklingen u.a. über marodierende Ghettoblaster, werden verdichtet und dekonstruiert.</p>
<p>John Zorns <em>The Dead Man</em> orientiert sich am Comic Strip, bis hin zu Spielanweisungen wie „scrape“, „crunch“ und „insane bowing“. Die 13 „specimen“ (Exemplare) kontrastieren nicht nur montiert miteinander, sondern bestehen teilweise selbst aus Collagen teils brutaler teils sinnierender Materialien im rasenden Wechsel.</p>
<p>Aus den <em>30 Pieces for String Quartet</em> von John Cage erklingen 12 Stücke, mit den vier Musikerinnen im Raum verteilt und versetzen das Publikum ins Fadenkreuz der entstehenden klanglichen Montage aus mikrotonalem, tonalem und hochvirtuosem Aggregat-Material, das sich entlang der Sekundenzeitachse ereignet.</p>
<p>Crumb reflektiert mit <em>Black Angels,</em> einem Kultstück der zeitgenössischen Musik, die Schrecken des Vietnam-Kriegs [“in tempore belli“]. In mehreren programmatisch konnotierten, mit Zahlensymbolik aufgeladenen Teilen kritisiert und kommentiert er das Geschehen, zugleich Kräfte des Mystisch-Jenseitigen rufend, die das Kommentierte ertragen helfen. In der „Pavana Lacrimae“ zitiert er Schuberts <em>Der Tod und das Mädchen</em>, stellt jedoch diesen Brückenschlag zugleich in Frage, in dem er bizarre Zusatzinstrumente (Gläser, Fingerhüte) und einen „surrealistischen“ Gesamtklang vorschreibt.<br /> <br /> Der Titel LUFT | WURZELN der neuen vom Kairos Quartett kuratierten deutschlandweiten Veranstaltungsreihe geht auf den Komponisten Sandeep Bhagwati zurück. In Indien geboren, aufgewachsen in Deutschland und heute zwischen Kanada, der Schweiz und Deutschland pendelnd umschreibt er mit dem Begriff Luftwurzeln sein Verständnis von Heimat. Als unabhängiges und weltoffenes sowie international tätiges Ensemble identifiziert sich das Kairos Quartett mit dieser Beschreibung und macht den Begriff zum Motto für seine Reihe bis Juni 2023.</p>
<p>Gefördert durch Neustart Kultur der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, Ensembleförderung.</p>